Der organisierte Sport im Schatten von Corona – Herausforderungen und Zukunftsperspektiven 

Die Lage des Ehrenamts: Corona-Krise = Ehrenamtskrise?

Das Ehrenamt ist in der Zeit der Corona-Pandemie mehrfach gefordert. Es muss unter starkem Druck Entscheidungen treffen und kreative Lösungen erarbeiten, die Finanzen im Blick behalten und sich intensiv mit digitalen Tools auseinandersetzen. Darüberhinaus wird ehrenamtlichen Funktionsträgern in Sportvereinen aktuell eine hohe Frustrationstoleranz abgefordert. Wie sich krisenbedingt die Formen der Zusammenarbeit im ehrenamtlichen Engagement ändern, möchten wir in diesem Workshop auf Basis aktueller Entwicklungen und erster belastbarer Studien diskutieren. Dabei stehen die Chancen und Herausforderungen insbesondere jedoch Lösungswege und innovative Ideen im Fokus. Die geladenen Expertinnen und Experten geben Einblicke in Best Practice Beispiele sowie in konkrete Fördermöglichkeiten. Ziel dieses Workshops ist es, Impulse für anstehende Maßnahmen zur Engagementförderung zu erarbeiten. 

Probleme im Ehrenamt multiplizieren sich

In Zeiten der Pandemie steht auch das ehrenamtliche Engagement vor besonderen Herausforderungen. Die Corona-Krise wirkt dabei wie ein Brennglas: Viele der Herausforderungen und Probleme, die für ehrenamtlich Tätige bestehen und sonst in der allgemeinen Normalität untergehen, treten jetzt noch deutlicher zu Tage.

Es zeigt sich ein indifferentes Bild, ob ehrenamtlich Tätige aktuell weniger Motivation und Kraft haben, sich ehrenamtlich zu engagieren. Deutlich wird jedoch die Sorge, dass einige Ehrenamtliche durch einen hohen Digitalisierungsgrad abgehängt werden könnten. Die Möglichkeiten, auf digitalem Weg Kontakt zu anderen zu halten, werden als kein langfristiger adäquater Ersatz zu persönlichen Begegnungen empfunden.

Vor allem in ehrenamtlichen Führungspositionen multiplizieren sich derzeit die Aufgaben, es muss gleichzeitig an den verschiedensten Fronten gekämpft werden. Die Probleme sind komplex: Da sind zum einen die ökonomischen Defizite, die sich durch ausbleibende Erträge, wie z. B. Sponsoreneinnahmen und die Durchführung von Veranstaltungen, ergeben. Zum anderen wird die Bindung an die Mitglieder durch die Sperrung der Sportanlagen erschwert, der direkte Kontakt ist fast nicht mehr möglich. Während Vereinsaustritte weiterhin – und ggf. sogar verstärkt – erfolgen, bleiben Eintritte in den Verein aus. Erst recht, wenn die Basis für eine Digitalisierung durch den Mangel an Hardware und Know-how nicht gegeben ist und Kontakthalten über digitale Medien nicht genutzt wird. Unterm Strich bedeutet dies einen Mitgliederschwund, der sich auch finanziell negativ auswirkt. Mit dem Schwund an Vereinsmitgliedern werden ebenso die Jugendlichen, Frauen und Männer im Ehrenamt weniger. Vor allem die Führungsriege der Vereine und Verbände ist darüber hinaus gefragt, dafür Sorge zu tragen, dass die Motivation dabeizubleiben bei allen Beteiligten nicht verschwindet, auch wenn nahezu nichts an Veranstaltungen möglich ist. Dieser Kampf an multiplen Fronten kann sich zu einer strukturellen Überforderung des Ehrenamtes kumulieren.

Weiterentwicklung von Vereinsstrukturen notwendig

Es ist also klar, wo die Herausforderungen und Probleme liegen, wo Strukturen nicht so sind, wie sie förderlich wären. So hat sich z. B. das Verhältnis zwischen Hauptberuf und Ehrenamt noch einmal verändert. Entscheidungswege wurden länger oder blieben aus und es lastet mehr Druck und zum Teil auch strategisches Geschäft auf den hauptberuflich Tätigen. Daher sollte reflektiert werden, welche Strukturen zukünftig für ehrenamtliche und hauptberufliche Tätigkeit sinnvoll sind.

Grad der Digitalisierung als Hauptvorteil?

Ein weiteres Hauptaugenmerk liegt dabei auf dem Grad der Digitalisierung. Vereine, die noch »wie in alten Zeiten« geführt werden, trifft es am schwersten. Sie sind nicht auf die Krise vorbereitet, können auch nicht kurzfristig darauf reagieren und treiben nun manövrierunfähig mit und müssen fast tatenlos zuschauen, wie sich die Folgen der Corona-Krise auf sie auswirken. Der Aufbau von Know-how bei allen Beteiligten über digitale Anwendungen und Ausstattung mit bedarfsgerechter Hard- und Software wird gemäß der ZiviZ-Studie1 »Lage des freiwilligen Engagements in der ersten Phase der Corona-Krise« als größte Herausforderung empfunden.

Vereine, die das Thema Digitalisierung frühzeitig angegangen sind, sind im Vorteil. Sie erreichen nicht nur ihre Ehrenamtler*innen auf direktem Weg, sondern bieten ihren Mitgliedern oft auch eine Plattform für ein Miteinander – selbst ohne analoges oder digitales Sportangebot.

Ehrenamt ist vor allem ein Miteinander

Dennoch: Es ist derzeit schwer, Mitglieder zu begeistern und zum Mitmachen aufzufordern. Denn im Lockdown fehlt der direkte persönliche Kontakt und das gemeinsame Spielen und Sporttreiben kommen in einem digitalen Raum zu kurz. Aber genau darauf kommt es an. Denn das Ehrenamt definiert sich vorrangig nicht darüber, dass etwas gemeinsam geschaffen wird, sondern vor allem über das zwischenmenschliche Miteinander.

Es sind genau diese Zwischen-Momente, die in den Sitzungen, bei der Arbeit oder in den Trainingseinheiten vorkommen, die die Mitglieder begeistern. Mitglieder, die vielleicht in anderen Bereichen ihres Lebens keinen Anlaufpunkt haben. Vor allem bei den Jugendlichen gleichen Alters entsteht dadurch das besondere Zusammengehörigkeitsgefühl einer Peergroup.

Dabei wird deutlich: Nicht die Dienstleistung steht im Vordergrund. Es ist der Wert des Vereins als soziale Heimat, der immer wieder herausgestellt werden muss. Auch der Aspekt des (lebenslangen) Lernens durch Engagement ist nicht zu unterschätzen: Beim ehrenamtlichen Engagement kann man sich ausprobieren, testen und lernen, mit neuen Situationen umzugehen. Deshalb muss sich vor allem die Verbandsebene dafür einsetzen, dass der Vereinssport auch auf dem politischen Parkett wieder mehr Beachtung erhält – und der Wert des Sports und der Vereinsarbeit für das gesellschaftliche Miteinander mehr in den Vordergrund rückt.

Große Chance für jugendlichen Nachwuchs

Gerade im Bereich der Digitalisierung bietet sich den Vereinen aktuell die große Chance, Nachwuchs fürs Ehrenamt zu generieren. Denn besonders für junge Menschen mit ihrem hohen Grad an Know-how im Bereich der Technik und der sozialen Medien besteht hier ein großer Spielraum. Voraussetzung dafür ist aber, dass die Vereine den Jugendlichen Möglichkeiten bieten, sich auszuprobieren, gute Ideen umzusetzen und auch verantwortungsvolle Positionen zu übernehmen.

Es sollte allerdings vermieden werden, mit angestaubten Bezeichnungen für Posten und Ämter zu werben. Denn das wirkt oft abschreckend auf die Mädchen und Jungen. Viel besser lassen sich interessierte junge Menschen über inhaltliche Themen oder auch kreative projektbezogene Arbeit gewinnen. Ihr Wissen und ihre Expertise für die heute gängigen Online-Tools sind eine große Chance für viele Vereine. Auch unabhängig vom Themenbereich der Digitalisierung sind projektbezogene Tätigkeiten eine Chance, junge Menschen für ehrenamtliche Tätigkeiten zu gewinnen.

Anlaufstelle auf Bundesebene geschaffen

Diese Offenheit im Umgang mit neuen Strukturen und die Bereitschaft zu experimentieren, müssen Funktionär*innen auf Verbands- und Vereinsebene vorleben. Denn es gibt viele neue Ideen – diese müssen aber auch ausprobiert und umgesetzt werden. Mit der Gründung der Deutschen Stiftung für Ehrenamt und Engagement (DSEE)2 im Juni 2020 hat u. a. das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) eine Anlaufstelle für die Förderung des ehrenamtlichen Engagements geschaffen.

Wie nötig und dringend erwartet diese Institution für die Vereine ist, zeigt sich in der Resonanz auf das Angebot. Über 12.500 Anträge gingen bis zur Frist Ende November 2020 ein, teilte die Stiftung mit. Über 1.950 Anträge mit einem Volumen von 15,1 Millionen Euro waren Ende November demnach bereits genehmigt.

Hoher Bedarf an Hard- und Software muss weiterhin gedeckt werden

Das darf aber nur ein Anfang sein. Denn die digitale Teilhabe muss allen Ehrenamtlichen und Engagierten möglich gemacht werden. Dazu gehört die Ausstattung mit Hardware und Software, die oft sehr kostenaufwendig ist. Hinzu kommen Unterstützungs- und Beratungsangebote zum Umgang mit den neuen Technologien für diejenigen, die damit noch wenig Erfahrung haben. Diese Bedarfe müssen Vereine und Verbände in der Ministerialverwaltung einbringen, damit Förderprogramme strukturell und inhaltlich nutzbar sind und nicht am Bedarf der Menschen im Ehrenamt vorbeigehen.

Nur wenn die Voraussetzungen für eine Digitalisierung geschaffen werden, ist es den ehrenamtlichen Funktionsträger*innen möglich, Kontakte herzustellen und zu halten, sich mit anderen Initiativen sowie öffentlichen und kommunalen Trägern zu vernetzen und somit Synergien zu schaffen. Synergien, die auch zukünftig gehalten und sogar konstruktiv ausgebaut werden sollten.

Workshopleitung
• Dr. Claudia Pauli (DTB-Vizepräsidentin Personalent-
wicklung, Frauen und Gleichstellung, freiberufliche
Sportjournalistin)
• Michaela Röhrbein (Generalsekretärin Deutscher
Turner-Bund)

 

 

 


Expertinnen und Experten
• Jan Holze (Gründungsvorstand Deutsche Stiftung für
Engagement und Ehrenamt)
• Dr. Holger Krimmer (Geschäftsführer ZiviZ gGmbH)
• Birgit Faber (Geschäftsführender Vorstand TSV Falken- see, Präsidentin Märkischer Turnerbund, Vizepräsiden-
tin Landessportbund Brandenburg)
• Kaddy Pechout (Vorstandsmitglied der Deutschen
Turnerjugend für allgemeine Jugendarbeit, Lehrerin)
• Annemarie Ohl (Vizepräsidentin Sport beim MTV
Braunschweig von 1847)