Kick-off: Der organisierte Sport im Schatten von Corona – Herausforderungen und Zukunftsperspektiven

Selbstverständlichkeiten unserer Gesellschaft und auch des Vereins- und Verbändelebens wurden durch die Corona-Pandemie ins Wanken gebracht. Neue Gewohnheiten und Haltungen entwickeln sich und damit auch neue Bedarfe und Erwartungen. Im Kreise der Expertenrunde wurden unter interaktiver Einbindung des Plenums Fragen und Thesen zum Thema „Der organisierte Sport im Schatten von Corona - Herausforderungen und Zukunftsperspektiven“ zur Einstimmung auf die nachfolgenden Workshops diskutiert.

Corona und die Folgen: 5 Thesen

1. Die Corona-Krise markiert den Beginn einer neuen Digitalkultur in unserer Gesellschaft
2. Die De-Institutionalisierungserfahrungen in der Corona-Krise fördert non-formale Organisationsformen
3. Die (Wieder-) Entdeckung des Lokalen führt zu einer Veränderung von Konsummustern und des Freizeitverhaltens
4. Die Fixierung auf Gesundheit als gesellschaftlicher Wert wird sich in Post-Corona-Zeiten weiter verschärfen
5. Die Verschärfung sozialer Ungleichheit wird sich auch nach Corona nicht komplett auflösen

DIe Corona-Pandemie zeigt uns Grenzen auf, die Folgewirkungen auf allen gesellschaftlichen Ebenen spüren wir merklich. Dabei sind es nicht nur die wirtschaftlichen Einschnitte, die viele Menschen verkraften müssen. Der Vereinssport, als eine der gesellschaftsrelevanten Säulen, ist auf längere Zeit im Breiten-, Fitness- und Gesundheitssport weiterhin kaum möglich. Das hat massive Auswirkungen auf die Vereine und Verbände und verändert zudem die Erwartungshaltung und das Verhalten der Sporttreibenden. Der Deutsche Turner-Bund möchte in dieser Krise mit diesem Online-Format Impulse geben. Impulse, die die verschiedenen Beteiligten aus Sport, Politik, Wirtschaft und Wissenschaft vernetzen, Kooperationen schaffen und dabei helfen, das wichtigste Gut zu fördern: die Gesundheit. Es gilt, in dieser für alle schwierigen Zeit Erkenntnisse und Erfahrungen
zu sammeln und Chancen zu ergreifen, damit Menschen, Vereine und Verbände weiterhin aktiv und engagiert bleiben können.

Sport als Ressource zur Krisenbewältigung

Die Herausforderungen der Corona-Pandemie sind in Deutschland in allen Teilen der Gesellschaft zu spüren. Ein Großteil des täglichen Lebens findet durch Homeoffice, Schul- und Kita-Schließungen oder weitere Maßnahmen zu Hause statt, weitestgehend isoliert von sozialen Kontakten. Mit dem Lockdown kam es zu einer quantitativen Abnahme des Sporttreibens in den traditionellen Sportarten1. Menschen, die sich zuvor wöchentlich bewegt haben, suchten nach Alternativen. Sportliche Aktivität stellt eine individuelle Ressource zur Krisenbewältigung, sowohl physisch, psychisch als auch emotional dar.
Viele Sporttreibende sind auf dieser Suche nicht fündig geworden, auch wenn viele Vereine mit unglaublicher Kreativität digitale Formate entwickelt haben. Eine hohe Zahl hat den informellen Sport für sich entdeckt. Vor allem Laufen, Radfahren und Home-Workouts stehen dabei hoch im Kurs. Gut für die Vereine, dass die Austrittswelle moderat blieb – die Anzahl der Kündigungen bewegte sich auf Vorjahresniveau. Schlimmer aber: Neue Mitglieder bleiben aus.

Vernetzung als zentrales Stichwort

Dieses Defizit zu füllen ist eine von vielen Herausforderungen des organisierten Sports. Hinzu kommen weitere Fragen, auf die Vereine und Verbände Antworten finden müssen: Wie gehen sie mit den derzeitigen Veränderungsprozessen in der Gesellschaft um? In welcher digitalen Kultur wollen sie Sport ausüben? Oder wie wird das so wichtige Ehrenamt gestärkt? Der Deutsche Turner-Bund suchte mit einer Vielzahl an Expert*innen aus Wirtschaft, Wissenschaft, Politik und Sport in zwei Diskussionsforen und sieben Workshops in der DTB Denkfabrik nach Möglichkeiten und Lösungen.
Vernetzung ist dabei das zentrale Stichwort: Neue und bestehende Kooperationen müssen ausgebaut werden – mit den Kommunen, mit der Wirtschaft, aber auch mit anderen Vereinen, um eine strategische Partnerschaft zu bilden. Eine sehr große Chance liegt im Ausbau von Kooperationen mit Schulen, um vor allem Kinder und Jugendliche leichter für Vereinssport zu begeistern. Gerade für junge Menschen ist der Sport als analoge Gegenwelt in einer digitalisierten Gesellschaft besonders wichtig.

Im Verlauf der Pandemie hat die Digitalisierung deutlich an Gewicht gewonnen. Sie sollte als Experiment für neue Formen der sozialen Vergemeinschaftung sowie für Bildungsarbeit und Wettkampfformate genutzt werden.
Vor allem aber kommen gemeinsame digitale Workouts für alle Altersgruppen oder die ganze Familie bei Vereinsmitgliedern gut an. Dieses Angebot sollte auch in Zukunft fester Bestandteil im Vereinssport werden. All dies ersetzt aber nicht – und da sind sich alle Teilnehmenden der DTB Denkfabrik einig – den Verein als den gesellschaftsrelevanten sozialen Raum für Menschen mit Menschen.

Neue politische Agenda für den Sport

Es wird nötig sein, neue Strukturen der Vereinsführung und des ehrenamtlichen Engagements zu schaffen, um den gesellschaftlichen Wandel zu bewältigen. Dabei sollte das Know-how der jungen Erwachsenen in den Bereichen der Digitalisierung und der sozialen Medien einbezogen werden.
Inaktive und Menschen, die sich zurückgezogen und vom Sport entfernt haben, nach der Pandemie zu erreichen und zu aktivieren, ist ein Kraftakt. Diesen Kraftakt können Vereine und Verbände allein nicht stemmen. Es bedarf der gezielten Hilfe durch die Politik: Mit einer neuen Agenda und Initiative für den Sport, bei der die Gesundheit im Fokus steht, lässt sich die Vereins- und Verbandsarbeit nachhaltig unterstützen. Nur so ist es möglich, das Vereinssterben aufzuhalten und die Bevölkerung mit qualitativ guten Bewegungsangeboten aktiv zu halten. Denn es gilt weiterhin: Sport ist im Verein am Schönsten!

Moderation
• Dr. Arne Göring (Sportsoziologe, Direktor der Zentralen
Einrichtung Hochschulsport an der Georg-August-
Universität Göttingen)
• Dr. Michaela Werkmann (DTB-Vizepräsidentin
GYMWELT, akademische Mitarbeiterin Institut für Sport
und Sportwissenschaft Albert-Ludwigs-Universität Freiburg)

 

 

 

 

Expertinnen und Experten
• Eugen Eckert (Evangelischer Stadionpfarrer Arena
Deutsche Bank Park, Referent der Evangelischen Kirche
Deutschland für Kirche und Sport)
• Moritz Fürste (Co-Founder Hyrox, zweifacher Olympia-
sieger)
• Michael Leyendecker (Vorsitzender Deutsche Sport-
jugend, Sportlehrer)
• MdB Stephan Mayer (Parlamentarischer Staatssekretär
Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat)
• Michaela Röhrbein (Generalsekretärin Deutscher
Turner-Bund)
• Peter Völker (Präsident TG Bornheim 1860 e. V.)