Abschlussveranstaltung: Der organisierte Sport im Schatten von Corona – Herausforderungen und Zukunftsperspektiven

In der Abschlussveranstaltung der ersten Reihe der DTB Denkfabrik werden die Ergebnisse aus den Workshops vorgestellt unter der Moderation von DTB Vize-Präsidentin Dr. Michaela Werkmann und Dr. Arne Göring gemeinsam mit dem Präsidenten des Deutschen Turner-Bundes und weiteren Gästen aus Sport, Wissenschaft und Politik reflektiert.

Sport braucht mehr Stimme, mehr Relevanz, mehr Raum

Die Diskussionen in den Workshops der DTB Denkfabrik machen vor allem eines sehr deutlich: Der Vereinssport braucht eine verbesserte öffentliche Wahrnehmung. Denn schon jetzt ist der Mitgliederschwund spürbar. Und er wird sich in 2021 fortsetzen. Der Vereinssport muss sich unbedingt neu positionieren. Die (Bildungs-)Leistung des organisierten Sports muss in der Öffentlichkeit sichtbarer und lauter werden, insgesamt präsenter sein. Das gelingt nur, wenn Vereine ihre entwickelten Angebote gut kommunizieren und die Kommunikationsarbeit insgesamt neu überdenken. Das gilt für die Kommunikation mit ihren Mitgliedern, aber auch in Bezug auf neue Zielgruppen und für den Dialog mit politischen Entscheider*innen.

Auch der Deutsche Turner-Bund will und muss als zweitgrößter Spitzensportverband mit rund fünf Millionen aktive Mitgliedern und als größter Kinder- und Jugendsportfachverband und Seniorensportverband mit einem darüberhinausgehenden breiten Angebot für Fitness- und Gesundheitssport in Deutschland mitreden.

Vereine und Verbände setzen die notwendigen Vorgaben für den Gesundheitsschutz in der Zeit der Pandemie verantwortungsvoll um. Dies hat auch für den DTB die größte Priorität. Daher sollte auch seine Expertise im Vorfeld bei Entscheidungen mit einbezogen werden.

Bewegungsmangel Kontra geben mit täglicher Sportstunde

Krisen sind Phasen beschleunigter Entwicklungen. Die Menschen stellen aktuell fest, dass ihnen etwas fehlt. In der Pandemie zeigt sich: Die Bevölkerung will und sucht Bewegung! Denn sie spielt eine zentrale Rolle für physisches und psychisches Wohlbefinden. Auch wenn die Studie »Bewegungsverhalten bei Kindern in der Pandemie«1 ergeben hat, dass sich die teilnehmenden Kinder im Alltag teils mehr bewegen – im Lockdown fehlt der angeleitete Sport.

Hier bietet sich eine Chance für den analogen Sport, der die motorische Entwicklung bei Kindern fördert und gleichzeitig für soziale Interaktion sorgt. Denn der Bewegungsmangel wird auch nach der Pandemie präsent bleiben. Wir brauchen daher zum Beispiel dringend eine qualifizierte tägliche Sportstunde und einen bundesweiten »Bewegungspakt«. Kinder und Jugendliche haben ein Recht auf Bewegung, auch um die Folgen der Digitalsierung auszugleichen. Damit muss sich die Kultusministerkonferenz auseinandersetzen und dafür muss auch im Schulsport ein Umdenken stattfinden.

Schnittstellen vernetzen für gelungene Sportförderung

Das Potenzial für den Gesundheitssport liegt in den Schnittstellen zwischen Sport, Land und Kommune. Ein Netzwerk zwischen allen dort Beteiligten auf- und auszubauen ist die gemeinsame Aufgabe von Sport und Politik. Benötigt werden zurzeit vor allem Konzepte jenseits vom Leistungssport. Die Auswirkungen von Sport auf die Gesundheit war lange unklar. Heute wissen wir, dass der Bewegungsmangel in den Wohlstandsländern die größte »Pandemie« ist2,3. Es bedarf mehr Sport – in den Schulen, in den Betrieben, in der Freizeit.

Dazu müssen auch die Bildungsinstitutionen mehr eingebunden werden, um alle sozialen Schichten zu erreichen. Keine Generation darf vernachlässigt werden. Nicht die Älteren und erst recht nicht die Jüngeren. Ein Weg führt etwa darüber, dass Vereine Netzwerke mit Schulen aufbauen: Viele Gesamtschulen zum Beispiel arbeiten jetzt schon mit Vereinen zusammen. Dadurch entstehen Win-Win-Situationen durch geteilte Räume, mehr Angebote und kompetente Übungsleiter*innen.

Besonders in Großstädten gibt es Bewegungsmangel-Hotspots, z. B. in den sozialen Brennpunkten. Dort sind Sportvereine unterrepräsentiert und hätten eine Anknüpfungschance, um neue Zielgruppen zu gewinnen und zu aktivieren. Das Bedürfnis ist da, Bewegung muss ermöglicht werden. Es bedarf deshalb mehr Zulassung von Sporträumen. Vor allem, wenn öffentlicher Raum besser für den organisierten Sport genutzt wird. Hier herrscht Entwicklungsbedarf – und der organisierte Sport muss daher mehr und auch frühzeitiger Mitspracherecht in der Sportentwicklungsplanung bekommen.

Unverzichtbar: Förderprogramme, neue Digitalstrategien, neue Strukturen und mutige Kampagnen

Insgesamt sollte der Sport bei allen gesellschaftlichen Diskussionen eine sichtbare Beteiligung erfahren. Damit Vereine und Verbände nach dem Lockdown möglichst schnell wieder durchstarten, benötigt es verschiedene Förderprogramme und mutige Kampagnen. Die nötigen Fördermittel sollten langfristig ausgelegt werden, damit der aktuelle Schwung im Bereich der Digitalisierung nicht verloren geht und die finanziellen Folgewirkungen abgemildert werden. Zukünftig müssen noch stärker die Kommunen und Gesundheitsministerien der Bundesländer Adressaten und strategische Partner für den organisierten Sport sein. Die Netzwerkarbeit muss hier wesentlich verstärkt werden.

Verantwortung wahrnehmen – für eine aktive und gesunde Gesellschaft

Die Verantwortung für die Vereine und den Amateursport liegt dabei vorrangig beim jeweiligen Bundesland und bei den Kommunen, die die Infrastruktur stellen. Die Vereinswelt muss daneben auf Bundesebene gefördert werden. Denn Sport bewegt die Menschen, ist gesundheitsfördernd und damit ein Teil der Lösung der aktuellen Corona-Krise! Deutschland braucht den Dreiklang aus Athlet*innen, qualifizierter Sportbetreuung und Sportraum für eine gesunde Gesellschaft.

Workshopleitung
• Dr. Arne Göring (Sportsoziologe, Direktor der Zentralen
Einrichtung Hochschulsport an der Georg-August-
Universität Göttingen)
• Dr. Michaela Werkmann (DTB-Vizepräsidentin
GYMWELT, akademische Mitarbeiterin Institut für Sport
und Sportwissenschaft Albert-Ludwigs-Universität Freiburg)
 

 

 


Expertinnen und Experten
• MdB Eberhard Gienger (Sprecher der Arbeitsgruppe
Sport und Ehrenamt der CDU/CSU-Bundestags-
fraktion)
• Klaus Hebborn (Beigeordneter Deutscher Städtetag/
Städtetag Nordrhein-Westfalen)
• Dr. Alfons Hölzl (Präsident Deutscher Turner-Bund)
• Inka Müller-Schmäh (Geschäftsführerin Vereinigung
Sportsponsoring-Anbieter e. V.)
• Jens-Uwe Münker (Leiter Abteilung Sport, Hessisches
Ministerium des Innern und für Sport)
• Prof. Dr. Alexander Woll (Leiter des Institus für Sport-
wissenschaft am Karlsruher Institut für Technologie)