Der organisierte Sport im Schatten von Corona – Herausforderungen und Zukunftsperspektiven 

Fitness- und Gesundheitssport restarted – die Corona-Krise als Gefahr oder als Chance?

Durch den Lockdown in der Corona-Pandemie und durch die damit einhergehenden gravierenden Einschränkungen von körperlicher Aktivität und Sport im Verein, wurde deren Bedeutung über deutlich. Körperliche Aktivität und systematisches fitness- und gesundheitssportliches Training mit den vielfältigen Angeboten für die unterschiedlichsten Alters- und Zielgruppen in den Vereinen nehmen eine immanent wichtige Funktion ein. Was hat sich durch die Einschränkungen verändert? Und was davon wird bleiben? Wie gehen wir – die Verbände und Vereine – damit zukünftig um? Und welchen Nutzen kann die Pandemie wohlmöglich sogar haben?

Mehr Sport: höheres Infektionsrisiko, bessere Immunität?

Sport und Gesundheit verhalten sich unter Pandemiebedingungen ambivalent zueinander: Auf der einen Seite erhöht gemeinsamer Sport das Infektionsrisiko – zumindest, wenn dabei Kontakt zu anderen Menschen besteht. Das Risiko besteht also auch im Breiten-, Fitness- und Gesundheitssport, werden keine Schutzmaßnahmen berücksichtigt.

Auf der anderen Seite verbessert Sport jedoch die Immunantwort des Körpers – vermutlich auch bei COVID-19. Außerdem lassen länger andauernde Bewegungseinschränkungen für Jung und Alt erhebliche negative gesundheitliche Folgen erwarten. Und zwar physisch und psychisch (COVID-19 und körperliche Aktivität – Nutzen1). Die Herausforderung besteht also darin, zwischen Infektionsrisiko und gesundheitsförderndem Effekt durch Sport abzuwägen.

Wie lässt sich das Immunsystem der Bevölkerung während der Pandemie weiterhin stärken? Ist es wirklich sinnvoll und nötig, auf Gesundheitsförderung durch Sport zu verzichten? Die Turn- und Sportvereine haben bislang gezeigt, dass sie das Infektionsrisiko mit entsprechenden Hygiene- und Abstandskonzepten erheblich minimieren können. Yoga oder Tai-Chi draußen auf dem Rasen, Wanderungen mit Balance und Kraftübungen für Ältere und insgesamt vermehrte Outdoor-Fitness-Angebote oder digitale Sporteinheiten: Die Vereine geben mit ihren zielgesteuerten Aktivitäten im Breiten-, Fitness- und Gesundheitssport angemessene Antworten. Denn Fitnessfaktoren gezielt zu unterstützen, ist ein wesentlicher Bestandteil der Gesundheitsförderung. Fest steht: Die systematische Förderung von Bewegungsangeboten ist die – für alle Beteiligten – kostengünstigste Variante aller Präventionsmaßnahmen.

Politik ignoriert Relevanz des Sports für die Gesundheit der Gesellschaft

Sport wird auch von politischer Seite gern und häufig als große, gesellschaftsrelevante Säule hervorgehoben. Solche wiederkehrenden Aussagen offenbaren sich in Zeiten der Corona-Krise jedoch als wenig wert- und gehaltvoll. Denn weitestgehend saßen keine Vertretungen aus dem organisierten Sport am Tisch bei den Verhandlungen der Gesundheitsminister*innen zu Maßnahmen im Kontext der COVID-19-Pandemie. Der gesamte Breiten-, Fitness- und Gesundheitssport wurde undifferenziert heruntergefahren. Und das, obwohl die bedeutsamen gesundheitlichen Effekte von körperlicher Aktivität bekannt sind. Obwohl gute Hygienekonzepte und klare Regeln zum Fitness- und Gesundheitssport unter COVID-19-Bedingungen kommuniziert wurden. Und trotz aller gewissenhafter Umsetzung der Auflagen, trotz fleißigem Einsatz der Haupt- und Ehrenamtlichen in den Vereinen und Verbänden.

Mitspracherecht statt leerer Worte

Sport wird somit weitestgehend als Freizeit abgetan und nicht als notwendige, unverzichtbare Gesundheitsvorsorge gesehen. Das ist eine nicht hinnehmbare Situation und gleichsam ein falsches Signal für die Gesellschaft.

Brot und Spiele fürs Volk: Die Bundesliga darf weiterlaufen – während die Bürger*innen sich mit dem Zugucken begnügen müssen. Nicht einmal Reitvereine dürfen in der Zeit des harten Lockdowns Menschen auf Pferden in den Wald schicken. Differenziertes Abwägen von Risiken? Fehlanzeige.

Daher ist es essenziell, dass Sportverbände politische Entscheider*innen in verschiedenen Ressorts sensibilisieren. Verbände und Vereine müssen für den Fitness- und Gesundheitssport ein Mitspracherecht erhalten, auch wenn es darum geht, Vorgaben zum Umgang mit der COVID-19-Pandemie zu entwickeln. Denn sie haben sich massiv um kreative Lösungen bemüht, mit denen Fitness- und Gesundheitssport weiterhin ausführbar ist – mit möglichst minimalem Infektionsrisiko.

Politische Lobbyarbeit und Marketing nötig

Bundesweit gibt es 27 Millionen Mitgliedschaften im organisierten Sport. Das entspricht rund einem Drittel der Bevölkerung! Trotzdem haben die Vereine und Verbände bislang keinen durchschlagenden Einfluss auf die politischen Entscheidungen zur Ausgestaltung von Lockdown-Maßnahmen. Die politische Lobbyarbeit für die Vereine muss grundsätzlich effizienter sein und gestärkt werden.

Auch die Marketingaktivitäten reichen bisher nicht aus – oder existieren schlicht nicht. Flächendeckend sind hochwertige Fitness- und Gesundheitssport-Angebote in den Turn- und Sportvereinen vorhanden, mit qualifizierten Übungsleitenden. Um diese Angebote publik zu machen, wird ein besseres Marketing benötigt.

Es braucht eine weitreichende Öffentlichkeitskampagne, die die Vereine in ihrer (kommunal-) politischen Positionierung unterstützt. Nur mit einer gezielten Kampagne lassen sich wieder mehr Mitglieder gewinnen und binden. Und nur so können die gesundheitlichen und psychosozialen Effekte des Fitness- und Gesundheitssports letztlich zum Tragen kommen.

Menschen aktivieren und motivieren

Erste wissenschaftliche Studien konnten Veränderungen im Bewegungsverhalten der Bevölkerung in der Corona-Zeit aufzeigen. Dabei gaben u. a. 35 Prozent der Befragten – unabhängig vom Alter – an, dass ihre Bewegungsaktivität in der Zeit der Pandemie abgenommen hat.

Um die Menschen wieder in Bewegung zu bringen, ist daher die Kommunikation mit den Vereinsmitgliedern überaus wichtig, ebenso wie mit eventuellen neuen Zielgruppen. Denn nur wer von Aktivitäten und Angeboten seiner örtlichen Sportvereine weiß, kann sie auch nutzen. Outdoor-Formate und Online-Angebote – bestenfalls als Livestream – flexibilisieren die Vereinsprogramme.

Aber Präsenzkurse sollten weiterhin möglich sein, da die Teilnehmenden dabei soziale Kontakte pflegen und dies nachhaltig die Bindung an körperliche Aktivität stärkt. Dieser Aspekt ist wichtig für die Mitgliederbindung.

Nicht nur die Bevölkerung gilt es für regelmäßige Aktivitäten zurückzugewinnen. Auch die Funktionsträger*innen im Verein (Ehrenamtliche, Übungsleitende, Trainer*innen) müssen wieder aktiviert und motiviert werden. Denn je länger der organisierte Sportbetrieb nicht stattfinden darf, desto schwieriger wird es, sie alle wieder dafür zu begeistern, Bewegungsangebote zu leiten.

Geballte Kompetenz: einsatzfähig bei Lockerung des Lockdowns

Vereine und Verbände als Orte des sozialen Miteinanders müssen zukünftig ihre Kompetenzen und Markenkerne noch mehr herausstellen. Sie müssen jeder für sich und gemeinsam eine Strategie entwickeln, um ihre Angebote zu vermarkten und die Bevölkerung zu aktivieren – bestenfalls mit politischer Unterstützung. Kommt es im Frühjahr 2021 zu Lockerungen, sollten die Vereine bestmöglich vorbereitet sein. Mit Unterstützung der Verbände aber insbesondere auch mit der notwendigen Unterstützung des Bundes, der Länder und der Gesundheitsministerien könnten die Vereine mit der Wiederaufnahme des Sports eine Öffentlichkeitskampagne für Endverbraucher*innen starten.

Für diese Kampagne heißt es nun, potenzielle Kommunikationspartner*innen zu finden, die die Botschaft der Vereine finanzieren und transportieren.

Workshopleitung
• Dr.  Michaela Werkmann (DTB-Vizepräsidentin
GYMWELT, akademische Mitarbeiterin Institut für Sport
und Sportwissenschaft Albert-Ludwigs-Universität Freiburg)

 

 


 
Expertinnen und Experten

• Birgit Faber (Geschäftsführender Vorstand TSV Falken-
see, Präsidentin Märkischer Turnerbund, Vizepräsiden-
tin Landessportbund Brandenburg)
• Michael Lindner (Präsidiumsmitglied Schleswig-
Holsteinischer Turnverband, Vorstandsmitglied
Bundesarbeitsgemeinschaft Seniorenbüro)
• Sabine Schröder (Vizepräsidentin GYMWELT
Schwäbischer Turnerbund)
• Prof. Dr. Ansgar Thiel (Direktor Institut für Sportwissen-
schaft Eberhard-Karls-Universität Tübingen)