Der organisierte Sport im Schatten von Corona – Herausforderungen und Zukunftsperspektiven 

Neue Digitalkultur(en) im organisierten Sport – neue Angebotsformen im und nach dem Lockdown

Nicht erst seit der „Corona-Krise“ haben Digitalisierungsphänomene den gesellschaftlichen Alltag in Deutschland massiv verändert. Wir kaufen nicht nur digital ein, konsumieren digitale Medien oder vernetzen uns über das Internet, spätestens seit Beginn der Pandemie lernen wir auch zunehmend digital und verlagern unsere Freizeit in digitale Welten. Obgleich alle sozialen Systeme von Digitalisierungsphänomenen betroffen sind, hat sich der organsierte Sport bis dato noch wenig mit der Frage nach den Auswirkungen von Digitalisierungsprozessen im Sport auseinandergesetzt. Dabei zeigen sich auch im Sportverhalten der Bevölkerung massive Veränderungen, die zu Irritationen im traditionellen Selbstverständnis von Sportvereinen führen werden. Im Workshop werden wir zunächst die derzeitigen Auswirkungen der Digitalisierung auf die Lebenswelten unserer Gesellschaft diskutieren und diese hinsichtlich ihrer Bedeutung für den Sport erörtern. Schließlich werden wir uns mit zukünftigen Strategien auseinandersetzen, die den Sportorganisationen die Möglichkeit bieten, den prospektiven Herausforderungen zu begegnen. 

Digitalisierung schafft neue Räume und Energien im Vereinsleben

Ein einheitliches Bild zu den Folgen der Pandemie für die Vereine zu zeichnen fällt schwer. Während Großsportvereine und Verbände bisher überwiegend gut durch die Corona-Krise gekommen sind, mangelt es kleineren Vereinen oft an Ressourcen und technischer Ausstattung, um in Zeiten des Lockdowns digitale Sport- und Kommunikationsangebote zu ermöglichen. Die wirklichen Auswirkungen werden sich wohl erst mit großer Verzögerung zeigen.

Doch es gibt auch positive Entwicklungen. Denn die Digitalisierung hat Räume geschaffen und Energien freigesetzt, die bislang nur vereinzelt das Vereinsleben geprägt haben. Gerade im Bereich des Fitness- und Gesundheitssports konnte z. B. ein Training durch Streamingangebote aufrecht erhalten werden.

Prozesse des Lernens und Trainierens werden neu strukturiert

Die Digitalisierung bietet Partizipationsmöglichkeiten für Menschen, die aufgrund von beruflichen und familiären Belastungen terminlich zu stark eingebunden sind oder grundsätzlich nicht mobil sind. Der Aufbau von Mediatheken mit Übungsstunden macht die Nutzer*innen unabhängig von Trainingszeiten. Die klassischen Strukturen und Prozesse des Lernens und Trainierens werden so völlig neu geordnet.
Doch während bei den klassischen Praxisangeboten in den Sportstätten die Nähe zu den Trainer*innen und Vereinen aufgebaut wird, ist diese durch digitale Programme nur bedingt gegeben. Das Angebot auf Internetplattformen wie YouTube ist außerdem auch ohne Vereins- oder Verbandszughörigkeit riesig.


Der soziale Aspekt fehlt – keine Nähe zum Verein

Der soziale Aspekt, der vor allem im Kinder- und Jugendsportbereich essenziell ist, entfällt fast komplett. Es fehlen die Trainer*innen als Vorbild und Mentor*in sowie die Trainingsgruppe als stärkende und motivierende Gemeinschaft. Dazu ist das Distanzlernen ähnlich wie im Schulbetrieb gerade für junge Kinder sehr schwierig konzentriert durchzuführen. Es mangelt dabei an direkter Interaktion.

Älteren Menschen ist der Zugang zu den digitalen Angeboten aus einem einfachen Grund oft verwehrt: Ihnen fehlt die technische Ausstattung, wie die Hardware oder ein Internetanschluss für die Datenübertragung und das Know-how, um teilzunehmen. Gleichwohl hat sich auch gezeigt, dass Senior*innen unter Anleitung und bei speziellen Produkten – etwa logisch aufgebauten Vereins-Apps – sehr wohl aufgeschlossen gegenüber digitalen Angeboten sind.

Synergien werden durch einfache Vernetzung geschaffen

Auf Verbands- und Funktionärsebene größerer Vereine ist die Digitalisierung sicherlich kein komplettes Neuland. Der Bildungsbetrieb mittels digitaler Lernplattformen oder die Kommunikation durch immer ausgefeiltere Videokonferenztechnik wurde im Lockdown aufrecht erhalten und teilweise sogar ausgebaut. Synergien werden durch einfache Vernetzung geschaffen und bieten neue Möglichkeiten.

Für die kleineren Vereine bestehen diese Optionen aber meist nicht. Ihnen fehlt es am nötigen technischen Rüstzeug. Digitale Angebote aufzusetzen und die Mitarbeiter*innen zu aktivieren ist mit finanziellem und personellem Aufwand verbunden. Dies können viele kleinere Vereine oft nicht leisten.

Fehlende Neueintritte sorgen für hohen Mitgliederrückgang in Vereinen

Insgesamt hat die Corona-Krise den Vereinen und Verbänden jedoch einen Digitalisierungsschub gegeben. Viele digitale Angebote und Instrumente werden sicherlich auch nach dem Lockdown die Vereins- und Verbandsarbeit unterstützen. Aber: Diese Digitalisierung kann den für Mitglieder wichtigen sozialen Aspekt nicht ersetzen. Denn dieser ist häufig der Antriebsmotor für die Menschen, Vereinen beizutreten.

Durch die Pandemie wird aber schon jetzt ein Mitgliederrückgang in Sportvereinen von 10 bis 15 Prozent prognostiziert, der weniger aus vermehrten Austritten als vielmehr aus den fehlenden Neueintritten resultiert, die in 2020 ausgeblieben sind und jetzt 2021 fehlen werden.

Schutzschirm und Föderprogramme für Vereine durch Bund und Länder gefordert

Aufgrund der langfristigen Beitragsmodelle werden die sich daraus ergebenden strukturellen Mindereinnahmen erst mit einem Zeitverzug von ein bis zwei Jahren in den Vereinen und Verbänden bemerkbar sein. Um die vielfältige Vereinskultur in Deutschland zu erhalten, werden vor allem auch in den Jahren nach der Pandemie Finanzhilfen unumgänglich sein.
Ebenso wie viele Wirtschaftsbranchen ist auch der organisierte Sport durch den Lockdown auf Finanzhilfen angewiesen. Die Landes- und Bundespolitik sind deshalb aufgefordert, kurz-, mittel- und langfristige finanzielle Schutzschirme für Vereine und Verbände bereitzustellen, um die finanziellen Mindereinnahmen aufgrund der Corona-Pandemie abzufedern. Wichtig sind ebenso Föderprogramme für die Ausstattung von Vereinen und Verbänden mit digitaler Infrastruktur sowie die Bereitstellung
von Schulungsangeboten zum Ausbau der digitalen Kompetenzen der Funktionsträger*innen. Nur so gelingt es, die Vielfalt der Vereinslandschaft in Deutschland zu erhalten und ein »Vereinssterben« abzuwenden. Es ist Zeit zu handeln.

Workshopleitung
• Martin Hartmann (DTB-Vizepräsident Verbandsent-
wicklung und Bildung, Bereichsleiter Consulting Public
Sector/NPO Syncwork AG)

 

 

 

Expertinnen und Experten
• Dr. Arne Göring (Sportsoziologe, Direktor der Zentralen
Einrichtung Hochschulsport an der Georg-August-
Universität Göttingen)
• Marco Lutz (Abteilungsleitung Bildung Landessport-
bund Niedersachsen)
• Boris Schmidt (Vorstandsvorsitzender Freiburger Kreis,
Vorsitzender TSG Bergedorf)